Die mittelhochdeutsche Sprache |
Die mittelhochdeutsche Sprache Übersetzungen aus dem Mittelhochdeutschen (Mhd.) bieten oft sehr viel größere Schwierigkeiten als die aus fremden Sprachen, und zwar gerade wegen der Tatsache, daß der im Mhd. Ungeübte schon bei einfacher Lektüre glaubt, diese Sprachform ungefähr zu verstehen. Aber dieses „Ungefähr" führt meistens zu Mißverständnissen und Fehlübersetzungen. Das liegt vor allem daran, daß viele Wörter im Verlauf der Sprachgeschichte ihren Bedeutungsumfang im Neuhochdeutschen wesentlich verändert haben. So ist in vielen Fällen das mhd. Wort ein Sammelbegriff, der uns fehlt und für den wir je nach dem Sinn des Textes eine Reihe von Einzelbegriffen einsetzen müssen, zum Beispiel für mhd. ́ere: „Ehrerbietung, Verehrung, Preis, Zierde, Ansehen, Ruhm, Sieg, Herrschaft" usw. oder für mhd. triuwe: „Treue (einschließlich der rechtlichen Bindung zwischen dem Herren und dem Vasallen), Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, gegebenes Wort, Gelübde, Versprechen, Waffenstillstand" usw. Auch wenn die Wortbedeutung anders als bei diesen beiden vielschichtigen Begriffen im Mhd. eng umgrenzt ist, kann sie sich erheblich von unserer unterscheiden; so ist mhd. hôchgezît nicht etwa „Hochzeit", sondern die Bezeichnung für jedes Fest, für jede „hohe Zeit", oder mhd. ê ist nicht gleich „Ehe", sondern „Recht, Gesetz" usw., bezeichnet also nicht nur die rechtliche Bindung zwischen Mann und Frau, sondern jedes Rechtsverhältnis, jede Norm (dazu kommen noch die Nebenbedeutungen wie altiu und niuwiu ê: „Altes und Neues Testament"). Weitere Schwierigkeiten bei der Übertragung ins Nhd. entstehen auf stilistischem Gebiet, so finden wir sehr häufig schmückende Beiwörter, zum Beispiel minneclîch, süeze, tugenthaft, tugentrîche usw., und es ist unmöglich, diese Wörter mit ihrer nhd. Entsprechungen zu übersetzen, wenn es nicht lächerlich wirken soll. Die Übertragung ins Nhd. muß also einerseits in vielen Fällen frei vom Original sein, um Sinn und Bedeutung richtig zu erfassen. Andererseits soll sie möglichst originalgetreu sein, um dem Leser auch in der nhd. Fassung noch einen Eindruck der mhd. Sprache und des mhd. Stils zu vermitteln. Die Verserzählungen Eine weitere Schwierigkeit entsteht bei der nhd. Wiedergabe des mhd. Reimpaarverses. Schematisch ist dieser folgendermaßen gebaut: /́x x/́x x/́x x/́x (x)/ /́x x/́x x/́x x/́x (x)/ /gŕôziu/ĺiebe/́und ouch/ḿiet,/ /sẃan er/v́on dem/ĺande/sch́iet./ Wir haben also einen „Viertakter" mit dem Wechsel von Hebung (betonter Silbe) und Senkung (unbetonter Silbe), wie er auch im Nhd., zum Beispiel bei Wilhelm Busch, vorkommt. Dabei gibt es im Mhd. eine Reihe von Variationsmöglichkeiten. Häufig wird dem Vers ein Auftakt vorangesetzt, so daß statt des „trochäischen" ein „jambischer" Rhythmus entsteht:x/́x x/́x x/́x x/́x (x)/ si/bŕach ir/ŕîsen/́ab in/źorn/. Innerhalb des Verses kann aus der Zweisilbigkeit eines Taktes entweder eine Einsilbigkeit (statt /́x x/ dann /́-/ oder eine Dreisilbigkeit (statt /́x x/ dann /́x uu/) werden. Weitere Veränderungen sind im Schlußtakt, in der „Kadenz", möglich, wobei dieser u. a. so weit gekürzt werden kann, daß nur noch eine Nebenhebung übrigbleibt, die sogenannte „klingende Kadenz", die es im Nhd. nicht mehr gibt, zum Beispiel:x/́x x/́x x/́-/̀x/ ir/h́ânt mîns/h́oves/́́êr-/̀e/ Daneben gibt es, besonders bei den späteren Autoren, auch unregelmäßige, zum Beispiel dreitaktige (dreihebige) oder fünftaktige (fünfhebige) Verse. Die Aussprache Gerade das - möglichst laute oder halblaute - Lesen der Originaltexte vermittelt erst den vollen Eindruck der mittelalterlichen Erzählungen. Dazu braucht man allerdings die Kenntnis einiger Ausspracheregeln, die im folgenden so kurz wie möglich dargestellt werden sollen. Vor allem müssen kurze und lange Vokale deutlich voneinander getrennt werden. Kurz zu sprechen sind a, e, i, o, u und die Umlaute a, ö, ü. Mhd. sagen hat also nicht das lange a von nhd. „sagen", sondern das kurze wie in nhd. „machen". Lange Vokale sind: 1. Die mit einem Zirkumflex gekennzeichneten Vokale â, ê, î, ô, û, zum Beispiel mhd. (ich) dâhte: (ich) „dachte", mhd. lêrche: „Lerche". 2. Die Umlaute der langen â, ô, û, die ae, oe, iu geschrieben werden, zum Beispiel mhd. maere: „Geschichte" (zu „Märchen"). 3. Alle Doppellaute (Diphthonge), von denen es im Mhd. zwei Gruppen gibt: a) ei, ou, öu/eu entsprechen ungefähr den nhd. ei/ai, au, äu/eu, jedoch muß der erste Bestandteil stärker hervorgehoben werden, also zum Beispiel e mit nachklingendem i in mhd. ein (sprich e-in): „ein", b) ie, uo, üe haben keine nhd. Entsprechung und sind mit dem Ton auf dem ersten Bestandteil zu sprechen. Der zweite Vokal darf jedoch keineswegs ausgelassen und bei ie nie als Dehnungszeichen aufgefaßt werden, also mhd. bieten (sprich bi-eten): „bieten". Bei den Konsonanten gibt es für das Mhd. seit dem 13. Jahrhundert weniger Schwierigkeiten. Aufmerksamkeit erfordern vor allem die Buchstaben z, h und w. So hat z einen doppelten Lautwert. Überall da, wo das Nhd. ein stimmloses s (s, ß, ss) hat, entspricht z diesem Laut, zum Beispiel mhd. daz: „das". Wo unser Deutsch ein z (= ts) besitzt, hat z ebenfalls diesen Lautwert, zum Beispiel mhd. zuo: „zu". Das mhd. h ist nie wie in „Stahl" Dehnungszeichen. Im Silbenanlaut muß es gesprochen werden, mhd. sehen ist also se-hen und nicht etwa se-en zu sprechen. Vor t und im Auslaut nach einem Vokal entspricht h unserem ch, also mhd. naht wie nhd. „Nacht". w hatte ehemals halbvokalischen Charakter (wie noch heute im Englischen) und ist aus der Schreibung uu hervorgegangen. Im 14. Jahrhundert ist w bereits unser stimmhafter labiodentaler Laut geworden, im Schriftbild wirkt aber insofern der alte Wert nach, daß statt uw mehrfach nur w geschrieben wird. Mhd. frowe entspricht also frouwe: „Frau", und iwer einem iuwer: „euer". Quellen: Degering H., Drei Lieder von der Magd, 1925, Wegweiser-Verlag, Berlin, 225 S. Gernentz H. J., Der Schwanritter, 1979, Rütten & Loening, Berlin, 488 S. Volkert W., Kleines Lexikon des Mittelalters, 1999, Verlag C. H. Beck, München, 330 S. |
Jrgen Hofbauer |